„Die Kommission lässt sich von angeblich neutralen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verführen und opfert die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zugunsten von Großkonzernen“, erklärte der Europaabgeordnete Thomas Waitz am Donnerstag (29.9.).
Die neuen Gentechnik-Methoden müssten genauso auf Herz und Nieren geprüft werden wie bisherige Methoden. Es sei inakzeptabel, wie versucht werde, hinter dem „Anschein der neutralen Wissenschaftlichkeit Industrieinteressen durchzusetzen“. Waitz forderte, Interessenkonflikte von Wissenschaftlern und Lobbying in der
EU-Kommission klar zu deklarieren.
Die Brüsseler Behörde stehe in der Pflicht, Transparenz herzustellen und Berater auf etwaige Interessenskonflikte zu prüfen. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen,
Martin Häusling, bezeichnete die Ergebnisse mit Blick auf die Novelle des EU-Gentechnikrechts als „brisant“. Es sei „besonders perfide“, wenn sich Wissenschaftler mit ökonomischen Interessen an Patenten zur neuen
Gentechnik zu Fürsprechern einer Deregulierung machten.
„Die landwirtschaftliche Biotechnologie-Industrie, einschließlich großer Investoren in die neue Gentechnik - wie Corteva,
Bayer und
BASF - können so in der zweiten Reihe bleiben und ‚die Wissenschaft‘ in den Lobbykampagnen zur Deregulierung für sich sprechen lassen“, erklärte Häusling.
Patente und UnternehmensbeteiligungenDie Grünen stützen ihre Kritik auf eine Untersuchung, in deren Rahmen nach Angaben von Waitz die wissenschaftlichen Mitglieder der drei wichtigsten Gruppen aus dem Lager der „Gentechnik-Befürworter“ in der EU untersucht wurden; dazu werden die Europäische Organisation für Pflanzenwissenschaften (EPSO), das Netzwerk „Nachhaltige Landwirtschaft in Europa durch Genomeditierung“ (EU-SAGE) und die Akademien der Wissenschaften in Europa (ALLEA) gezählt.
Demnach hat ein großer Teil der Wissenschaftler ein persönliches Interesse an der Kommerzialisierung von genmanipulierten Pflanzen, da sie persönlich oder über ihre Organisationen finanziell davon profitieren könnten. Von den Mitgliedern der zuständigen EPSO-Arbeitsgruppe für Agrartechnologien haben laut der Untersuchung, die ausschließlich auf öffentlich zugänglichen Informationen beruhen soll, 64 % ein Eigeninteresse an der Kommerzialisierung gentechnisch veränderter Pflanzen; bei den Mitgliedern des EU-SAGE sollen es 32 % sein.
Unter anderem sollen 38 % der Mitglieder der EPSO-Arbeitsgruppe und 23 % der Wissenschaftler aus dem Netzwerk ein oder mehrere Patente oder Patentanmeldungen im Zusammenhang mit gentechnischen Verfahren oder Produkten halten. Zudem sollen 22 % der Personen aus der Arbeitsgruppe und 10 % aus dem Netzwerk als Einzelpersonen an Saatgut- oder Biotechnologieunternehmen beteiligt sein.
Materielles Interesse an kommerzieller NutzungAus den Untersuchungen folgt für die Autoren, dass die „in dieser Studie genannten Lobbygruppen und einzelnen Forscherinnen und Forscher nicht als Befürworterinnen und Befürworter einer wissenschaftsbasierten Politik, geschweige denn als Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft gelten können“.
Vertreten werde ein „begrenzter Bereich der angewandten Wissenschaft mit materiellen Interessen an der kommerziellen Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft“. Betont wird, dass die Beteiligung an bestimmten Regulierungsentscheidungen mit Eigeninteressen an sich nicht zu kritisieren sei.
Das Problem entstehe jedoch, wenn diese Interessen in den Beiträgen zur Debatte über die Regulierung nicht offengelegt würden und die Personen sich als unabhängige, unparteiische Wissenschaftler und „Stimme der Wissenschaft“ präsentierten. „Befürwortung ist ein akzeptabler Teil der Demokratie, aber die Darstellung von Interessengruppen als neutrale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist es nicht“, heißt es dazu.