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10.10.2022 | 05:57 | Pestizide 

EU-Kommission schlägt Glyphosat-Zulassung zunächst für ein Jahr vor

Brüssel - Die Europäische Kommission will die am 15. Dezember auslaufende Zulassung des Pflanzenschutzmittelwirkstoffs Glyphosat zunächst um genau ein Jahr verlängern.

Glyphosat-Produkt
Abstimmung der Mitgliedstaaten in dieser Woche - Entwurf basiert auf aktuellen Zulassungskriterien - EFSA will Neubewertung für Glyphosat im Juli 2023 vorlegen - ECHA hat den Wirkstoff in diesem Jahr bereits als „nicht krebserregend“ eingestuft - Deutschland zum Abstimmungsverhalten noch nicht klar positioniert - Unklarheit auch in Frankreich - COPA/COGECA unterstützen Vorgehen der Kommission. (c) proplanta
Über den Vorschlag werden die Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) am Donnerstag (13.10.) oder Freitag dieser Woche (14.10.) zu befinden haben. Der vor kurzem vorgelegte Entwurf basiert auf aktuellen Zulassungskriterien.

Die Kommission will den Prüfbehörden „ausreichend Zeit“ für eine Neubewertung geben. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hatten bereits im Mai dieses Jahres mitgeteilt, dass sie erst im Juli 2023 in der Lage seien, eine finale Stellungnahme an die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission zu übermitteln.

Ursprünglich war eine Präsentation der Ergebnisse einer Neubewertung spätestens im Herbst dieses Jahres anvisiert worden. Diese Frist sei aufgrund der umfangreichen Rückmeldungen im Bewertungsprozess nicht einzuhalten, so die damalige Erklärung der EFSA.

Derweil hatte die ECHA bereits im Zuge der neuen Risikobewertung in ihrer Ende Mai dieses Jahres vorgelegten Untersuchung klargestellt, dass die Einstufung von Glyphosat als krebserregend „nicht gerechtfertigt“ sei. Damit hatte die EU-Behörde in Helsinki ihre Einschätzung aus dem Jahr 2017 bestätigt, die mit zur Wiederzulassung von Glyphosat beigetragen hatte.

Ablehnung wird nicht erwartet



Im Weiteren kam die ECHA in diesem Jahr zu dem Schluss, dass die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht die Kriterien für eine Einstufung von Glyphosat als zielorganspezifische Toxizität oder mutagene beziehungsweise reproduktionstoxische Substanz erfüllen. Zudem sollte die bestehende Einstufung, wonach der Wirkstoff „schwere Augenschäden verursacht und für Wasserlebewesen giftig ist“, beibehalten werden.

Insgesamt rechnen Beobachter in Brüssel nicht damit, dass der Entwurf der Brüsseler Behörde über eine Verlängerung von einem Jahr abgelehnt wird. Eine endgültige Positionierung der Bundesregierung scheint dem Vernehmen nach noch nicht stattgefunden zu haben. Aus Berliner Kreisen war zu hören, dass es entweder ein Nein oder eine Enthaltung geben werde.

Bekanntlich sieht der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ein endgültiges Ende für Glyphosat in Deutschland zum 1. Januar 2024 vor. Hierauf hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir auch bei einer Regierungsbefragung am 21. September im Bundestag hingewiesen.

Kein klares Signal aus Frankreich



Auch die Position der französischen Regierung ist noch nicht bekannt. Die wenigen Signale deuten allerdings weiterhin auf einen Kurswechsel hin. 2017 hatte Frankreich bekanntlich gegen die Wiederzulassung von Glyphosat gestimmt. Die kritischen Umweltorganisationen hegen allem Anschein nach keine allzu großen Hoffnungen auf ein Pariser Nein.

Angesprochen auf die anstehende Zulassungsverlängerung wies Landwirtschaftsminister Marc Fesneau bei einer Anhörung in der Nationalversammlung kürzlich daraufhin, dass ein Drittel der französischen Landwirte kein Glyphosat mehr verwende und weitere 30 % den Einsatz verringert hätten. Zugleich betonte der Minister, ein gemeinsames europäisches Vorgehen und keine isolierte Position anzustreben und vor allem Alternativen in den Blick nehmen zu wollen.

Sowohl von einigen Abgeordneten der Nationalversammlung wie auch der Umweltorganisation Générations Futures wurde das als Beleg für einen Kurswechsel von Staatspräsident Emmanuel Macron gewertet. Nach der Abstimmung im Jahr 2017 hatte Macron versprochen, innerhalb von drei Jahren aus der Nutzung von Glyphosat auszusteigen. 2019 war Macron erstmals von seinen Zielen abgerückt; ein Jahr später gestand er ein „kollektives Scheitern“ ein, betonte allerdings, seine Position nicht grundsätzlich geändert zu haben.

Zu Beginn des Wahljahres 2022 hieß es von der Regierung schließlich, es werde Anwendungsverbote nur bei wirtschaftlich tragfähigen und ökologisch sinnvollen Alternativen geben; seitdem ist nichts weiter passiert.

Deutschland hatte 2017 für Glyphosat gestimmt



Sollte es im SCoPAFF wie auch in dessen Berufungsausschuss keine qualitative Mehrheit für oder gegen die Wiederzulassung von Glyphosat geben, obliegt das letzte Wort der Kommission. Bekanntlich hatte Deutschland bei der letztmalig erfolgten Zulassung 2017 unter dem damaligen Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU zum Ärger des Koalitionspartners SPD für eine Wiederzulassung des Herbizidwirkstoffs für fünf Jahre gestimmt und damit für eine qualitative Mehrheit der „Ja-Sager“ gesorgt.

Auch wenn Berlin jetzt unter Beteiligung der Grünen in der Bundesregierung gegen eine Zulassung stimmen sollte, ist eine Ablehnung des Kommissionsvorschlags eher unwahrscheinlich. Der Wegfall des Vereinigten Königreichs als Befürworter des Wirkstoffs dürfte ebenfalls nichts daran ändern.

Bei der maßgeblichen Ausschusssitzung hatten sich 2017 neben Deutschland 17 weitere EU-Staaten für die Wiederzulassung von Glyphosat ausgesprochen, darunter Spanien, Polen, die Niederlande, Dänemark und Rumänien. Dagegen hatten neun Länder gestimmt, darunter Italien und Österreich. Portugal hatte sich zuletzt als einziges EU-Land enthalten.

Entscheidungsprozess nicht in Frage Stellen



Die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) erklärten derweil gegenüber AGRA-EUROPE, dass man die Entscheidung der Kommission, den Wirkstoff Glyphosat zunächst für ein Jahr zu verlängern, aufgrund der Verspätung durch die EFSA bei der Risikobewertung teile. Man hoffe nun auf eine Genehmigung vor dem 15. Dezember.

Des Weiteren wurde seitens der beiden Dachverbände klargestellt, dass die Infragestellung des wissenschaftlich fundierten Entscheidungsprozesses zum einen negative Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der EU-Behörden habe und zum anderen schädlich für den eigenen Sektor sei.
AgE
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