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16.08.2010 | 16:43 | Hochwasser-Katastrophe  

Das Wasser jagt uns wie ein Monster

Pir Jo Goth/Islamabad - Es regnet, der Indus schwillt immer weiter an.

Hochwasser
(c) proplanta
Wenn der Flusspegel noch einen Meter steigt, werden die Fluten den mehrere Kilometer langen Faridpur-Damm entlang des Ufers in der südpakistanischen Region Pir Jo Goth überspülen. Tausende Menschen aus umliegenden Dörfern sind durch hüfthohes Wasser gewatet, um sich auf dem Erddeich in Sicherheit zu bringen - jetzt sind sie wieder bedroht.

Der 35-jährige Murad Ali klagt: «Überall ist Wasser, am Boden und am Himmel. Es jagt uns wie ein Monster.» Ali ist einer von mehreren hunderttausend Menschen in der Provinz Sindh, die immer weiter vor den Wassermassen fliehen müssen. «Wir haben unsere Häuser, unsere Felder und die Gräber unserer Ahnen zurückgelassen», sagt er einem dpa-Reporter, der ein Hilfsteam der Marine auf einem Luftkissenboot ins Katastrophengebiet begleitet.

Die Soldaten verteilen Medizin und Lebensmittel. Ali fragt angesichts des steigenden Wasserpegels: «Wohin können wir jetzt noch gehen?» Nach Angaben der Regierung in Islamabad hat die Jahrhundertflut 20 Millionen Menschen obdachlos gemacht - ungefähr jeder achte Pakistaner ist damit auf der Flucht. Ein Fünftel des südasiatischen Landes ist unterflutet.

Nicht nur die Regierung ist überwältigt vom Ausmaß der Katastrophe. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte am Sonntag nach einem Besuch der Flutregion: «Ich habe in der Vergangenheit schon viele Naturkatastrophen auf der Welt gesehen, aber keine wie diese hier.»  Die Behörden versuchten am Montag, die Stadt Jacobabad in Sindh vor den Fluten zu retten. Hierhin hatte sich der Bauer Manzoor Hussain mit seiner Familie aus einem nahen Dorf in der vergangenen Woche in Sicherheit gebracht - dachte er jedenfalls.

Nach einer Flutwarnung für Jacobabad musste der 42-Jährige nun erneut fliehen. Inzwischen ist er in der Stadt Sukkur rund 80 Kilometer südlich von Jacobabad in einer Schule untergekommen, die zum Flüchtlingscamp umfunktioniert wurde. Den dreifachen Preis wie üblich habe er zahlen müssen, um einen Minibus von Jacobabad nach Sukkur zu mieten, sagt Hussain. «Die Regierung sollte uns klar darüber informieren, welche Gebiete von den Fluten gefährdet und welche sicher sind, damit wir uns in die richtige Richtung bewegen können.»

Die Provinzregierung von Sindh plant inzwischen, möglichst viele Flüchtlinge in die Millionenstädte Hyderabad und Karachi zu bringen, die nicht an Flüssen liegen. Bei Hussain und anderen Flutopfern braut sich eine gefährliche Wut auf die Politik zusammen. «Das ist ein von der Regierung betriebenes Auffanglager, aber ich bekomme nur ab und zu etwas zu essen», kritisiert der Bauer. «Wir verhungern, aber keiner kümmert sich um uns.» Wenige Kilometer von Hussains Camp blockierten am Montag hunderte Flutopfer eine Einfallstraße nach Sukkur, um gegen den Mangel an Lebensmitteln zu protestieren.

Auch in der an Sindh angrenzenden Provinz Punjab wächst der Ärger unter den Flutopfern. In der vergangenen Woche waren im Distrikt Muzaffargarh Fahrzeuge mit Hilfsgütern geplündert worden. Am Montag wurden drei Menschen verletzt, als ein aufgebrachter Mob einen Hilfskonvoi im Distrikt Rahim Yarkhan mit Steinen bewarf. Trotz der wachsenden Gefahr: Nicht jeder in den Flutgebieten bringt sich in Sicherheit.

Nach dem Faridpur-Damm steuert das Luftkissenboot der Marine das Dorf Panjal Kalhooro rund zehn Kilometer entfernt an, das fast vollständig überflutet ist. Einige höher gelegene Häuser mit großen Grundstücken stehen im Trockenen - noch zumindest. Dort harren mehrere hundert Menschen aus. «Wir können hier nicht weg», sagt der Bauer Ishaq Kalhooro. Grund sei eine jahrelange Feindschaft mit Angehörigen eines rivalisierenden Stammes in der Region. «Sie würden unser Land besetzen, wenn wir es zurücklassen.»

Die Soldaten versuchen, die Dorfbewohner zu überzeugen, zumindest Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen - erfolglos. «Ich weiß, dass sie (die Angehörigen des anderen Stammes) uns und unsere Kinder entführen würden, wenn wir ohne unsere Männer an einen anderen Ort gingen», sagt die 50-jährige Dorfbewohnerin Bachal. «Wir werden hier nicht weggehen. Lieber sterben wir hier.» (dpa)
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