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18.09.2023 | 00:52 | Rede zur Lage der EU 

Von der Leyen fordert weniger Polarisierung bei Agrarthemen

Straßburg - Das Thema Landwirtschaft hat für die Präsidentin der Europäischen Kommission, Dr. Ursula von der Leyen, offenbar an Wichtigkeit gewonnen.

Ursula von der Leyen
Die Kommissionspräsidentin kündigt einen „strategischen Dialog“ an - Landwirtschaft und Naturschutz müssen zusammengehen - Selbstversorgung mit Lebensmitteln besonders wichtig - Mercosur-Abschluss bis Jahresende angestrebt - Staudte kritisiert fehlende Aussagen von der Leyens zum Tierschutz - COPA/COGECA zufrieden - BBV-Präsident Felßner reichen die Erklärungen nicht. (c) Dt. Bundestag
In den vergangenen Jahren war die Brüsseler Behördenchefin wiederholt von EU-Agrarpolitikern und Branchenvertretern dafür kritisiert worden, dass sie bei ihrer jährlichen Rede zur Lage der Europäischen Union im Europaparlament nicht auf Landwirtschaftsthemen eingegangen war.

Bei ihrer diesjährigen Rede am vergangenen Mittwoch (13.9.) in Straßburg äußerte sich die CDU-Politikerin jedoch mit ein paar Sätzen zur Bedeutung des Sektors. Außerdem kündigte die Kommissionspräsidentin an, dass sie sich für einen „strategischen Dialog“ mit der Landwirtschaft einsetzen wolle.

„Wir brauchen mehr Dialog und weniger Polarisierung“, sagte von der Leyen. Sie sei und bleibe davon überzeugt, dass Landwirtschaft und Naturschutz zusammengehen. „Wir brauchen beides“, konstatierte die CDU-Politikerin. Die Ernährungssicherung im Einklang mit der Natur sei eine wesentliche Aufgabe. Sie wolle den Landwirten ihre Anerkennung aussprechen, dass sie die Menschen Tag für Tag mit Lebensmitteln versorgten. Laut der Kommissionspräsidentin ist die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln besonders wichtig.

Für stärkeren Schutz der Artenvielfalt



Von der Leyen unterstrich, dass die Leistungen der Landwirte „nicht selbstverständlich“ seien. In diesem Zusammenhang wies die ehemalige Bundesverteidigungsministerin darauf hin, dass auch die Bauern unter den Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine, den durch den Klimawandel bedingten Dürren, Waldbränden und Überflutungen litten.

Dies wirke sich auch auf ihre Einkommenssituation aus. Nachdrücklich warb die Chefin der Brüsseler Behörde aber auch für einen stärkeren Schutz der Biodiversität. Dies werteten Beobachter als Aufruf zur Unterstützung des geplanten, sehr strittigen Naturwiederherstellungsgesetzes (NRL).

Bekanntlich befindet sich der Vorschlag der Kommission aktuell in der Phase des Trilogs mit dem Rat und dem Parlament. Von der Leyens eigene politische Familie, die EVP, hatte kurz vor der Sommerpause versucht, das Gesetz zu Fall zu bringen.

Mehrere Handelsabkommen gewollt



Besondere Erwähnung erhielt in der Rede der Kommissionspräsidentin das Thema Handel mit Drittstaaten. Hierzu betonte sie, dass sie bis Ende dieses Jahres mit Australien, Mexiko und dem Mercosur-Block zu einem Abschluss von Handelsabkommen gelangen wolle, „und bald danach mit Indien und Indonesien“.

Kein Wort verlor die Kommissionspräsidentin indes über die eigentlich für den Herbst erwarteten Novellierungsvorschläge zu verschiedenen EU-Tierschutzgesetzen. Erst vor wenigen Tagen hatte die englische Ausgabe der „Financial Times“ berichtet, dass die Kommission erwägen würde, zumindest einen Teil der Vorschläge doch nicht zeitnah vorlegen zu wollen.

Eine Sprecherin der Kommission erklärte dazu gegenüber AGRA-EUROPE, dass man weiterhin hinter einer Verbesserung der Tierhaltung stehe. Positiv werde auch die erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative (EBI) für ein Aus der Käfighaltung bewertet. Auf den Zeitplan ging aber auch die Sprecherin nicht ein.

Staudte zeigt sich alarmiert



Scharfe Kritik an der Rede der Kommissionspräsidentin kam aus Niedersachsen. Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte bezeichnete es als „alarmierend“, dass die Brüsseler Behördenchefin in ihrer Grundsatzrede kein Wort zum EU-Tierschutzpaket verloren hat.

„Wir brauchen strengere, europaweit einheitlich geltende Tierschutzregeln beispielsweise für Tiertransporte oder die Herkunftskennzeichnung - natürlich für mehr Tierwohl, aber auch für einen fairen Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union“, so die grüne Ressortchefin. Staudte erinnerte daran, dass das EU-Tierschutzpaket Teil des Green Deals sei. Erst jüngst habe ihr Staatssekretär Michael Marahrens in Brüssel zum Ausdruck gebracht, dass man in Hannover die Umsetzung erwarte.

Die Legislativvorschläge der Kommission müssten zeitnah vorgelegt werden. Anderenfalls sei eine Novellierung des veralteten EU-Tierschutzrechts erst mit großer zeitlicher Verzögerung nach der Europawahl im Juni 2024 möglich.

Kritik aus der CSU und FDP



Der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Markus Ferber, sparte ebenfalls nicht mit Kritik. „Wolkige Ankündigungen, Recycling bekannter Vorschläge und wenig Neues“, so die Zusammenfassung des CSU-Europaabgeordneten.

„Diese Rede war die letzte große programmatische Weichenstellung für diese Kommission - am Ende war es eine verpasste Chance.“ Laut Ferber hätte von der Leyen anstatt zurückzublicken und vermeintliche Erfolge zu feiern, echte Antworten auf die Herausforderungen der Zeit geben müssen. Wirtschaftsthemen hätten in den Mittelpunkt gehört.

Carina Konrad, stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, attestierte der CDU-Politikerin, dass sie neben Erfolgen im außenpolitischen Bereich „leider vor allem eine verheerende Bilanz bei wirtschaftspolitischen Themen zu ziehen habe“. „Unsere Wettbewerbsfähigkeit gerät durch die schlechte Umsetzung des Green Deals zunehmend in Gefahr.“ Dabei verwies Konrad auf die geplanten Gesetze zur Pflanzenschutzmittelreduktion und zur Naturwiederherstellung.

COPA/COGECA zufrieden



Im Großen und Ganzen zufrieden mit der Rede der Kommissionspräsidentin zeigten sich dagegen die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA). Die Behördenchefin habe es diesmal nicht versäumt, der Agrarbranche besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Positiv bewertet wurde, dass an der Spitze der Kommission erneut der Wunsch nach einem Dialog mit dem Sektor bekräftigt worden sei.

Auch die Forderung nach weniger Polarisierung werde geteilt. Kritischer äußerten sich hingegen deutsche Bauernvertreter. Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV), Günther Felßner, erklärte, der von von der Leyen angekündigte strategische Dialog mit der Landwirtschaft sei zwar ein Anfang, reiche aber bei weitem nicht aus.

„Die europäische Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen, die durch die aktuellen Kommissionsvorschläge, sei es beim Thema Pflanzenschutz, Naturwiederherstellung oder der Industrieemissionsrichtlinie, eher größer als kleiner werden.“

Bei der SUR Handbremse ziehen



Max von Elverfeldt, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst, begrüßte zwar die Ankündigung, dass künftig vor jedem neuen EU-Gesetz die Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit geprüft werden sollten. Dies komme für viele Betriebe allerdings zu spät. Für den Kommissionsvorschlag zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (SUR), ist dem Verbandsvorsitzenden zufolge aber noch Zeit, „die Handbremse zu ziehen“.

Die ernährungspolitische Referentin des WWF Deutschland, Elisa Kollenda, beklagte, dass von der Leyen in ihrer Rede das Thema Ernährungssicherheit nur kurz adressiert habe. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten zeigte sich „schockiert“, dass das Thema Verbesserung des Tierwohls völlig ausgeklammert worden sei. Es sei offensichtlich, dass die Kommission hier „vor der mächtigen Agrarlobby eingeknickt“ sei. Trotz all der bekannten Missstände und dem enormen Handlungsbedarf sei sie anscheinend nicht zu Reformen bereit.
AgE
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