Das Bundesverkehrsministerium lehnt die Initiative von Umweltministerin Steffi Lemke nach wie vor ab, aus der Förderung der
Biokraftstoffe auszusteigen und die Biokraftstoffquote schrittweise auf Null senken. Demgegenüber hält das Umweltressort an seiner kritischen Haltung gegenüber Biokraftstoffen fest. Eine Annäherung beider Seiten hat es in den bisherigen Gesprächen dem Vernehmen nach nicht gegeben.
Eine ursprünglich für den 2. November geplante Kabinettsbefassung mit einer Änderung des Biokraftstoffquotengesetzes ist offenbar bereits vom Tisch. Ob es noch zu einer Einigung kommen kann oder der Vorstoß der Umweltministerin trotz der Unterstützung durch ihre Kabinettskollegen Dr. Robert
Habeck und Cem Özdemir im Sande verläuft, vermag derzeit niemand in Berlin zu sagen. Zumindest deuten die Zeichen derzeit nicht auf einen Kompromiss.
Beitrag zur Senkung der TreibhausgasemissionenDas Bundesverkehrsministerium und sein Chef Dr. Volker Wissing machen kein Geheimnis daraus, dass sie an den Biokraftstoffen aus Anbaubiomasse festhalten möchten. Sie verweisen auf deren spürbaren Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen. Eine Absenkung oder gar ein Auslaufen der Biokraftstoffquote würde die ambitionierten
Klimaziele unterlaufen, die jedes Ressort in seinem Bereich erbringen muss, so die Befürchtung im Ministerium für Digitales und Verkehr.
Dabei spielt auch eine Rolle, dass der Klimaschutzbeitrag der Biokrafttaftstoffe mittelfristig kaum durch E-Fahrzeuge kompensiert werden könnte. Zwar wollte das Bundesverkehrsministerium den Stand der regierungsinternen Abstimmung auf Nachfrage wie üblich nicht kommentieren. Ein Sprecher wies jedoch darauf hin, dass bislang kein Referentenentwurf des Umweltministeriums vorliege. Eine Ressortabstimmung scheint damit allein aufgrund der knappen Zeit bis Anfang November unrealistisch.
Beratungen noch nicht abgeschlossen„In Zeiten einer sich weltweit verschärfenden Ernährungssituation ist es aus unserer Sicht nicht vertretbar, weiter große Mengen an Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermitteln im Verkehrsbereich zu fördern“, erklärte ein Sprecher des Umweltressorts gegenüber AGRA-EUROPE. Seinen Angaben zufolge sind die Beratungen darüber, inwieweit die Förderung von diesen Agrokraftstoffen weiter begrenzt und heruntergefahren wird, innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen.
„Deutschlands Klimaziele und die Verkehrswende erreichen wir besser mit dem
Ausbau der Elektromobilität“, betonte der Sprecher. Außerdem stünden in den kommenden Jahren immer mehr fortschrittliche und abfallbasierte Agrokraftstoffe - unter anderem aus
Gülle, Stroh oder auch Altspeiseölen sowie grüner Wasserstoff - als nachhaltigere Optionen zur Verfügung.
Der Sprecher verwies auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der die Verletzlichkeit und Abhängigkeit der fossilen
Energieversorgung, aber auch der weltweiten Lebensmittelversorgung schmerzhaft vor Augen führe. Der kriegsbedingte Lieferausfall von Getreide aus der Ukraine und der Ausfall eines erheblichen Teils der dortigen Ernte machten die weltweit bereits angespannte Situation noch schwieriger.
iLUC-EffekteDie hohe und steigende Nachfrage nach Agrargütern zur
Ernährung einer wachsenden
Weltbevölkerung müsse gedeckt werden, so der Sprecher. Die sich daraus ergebenden Preissteigerungen bei
Lebensmitteln spürten vor allem die Menschen in ärmeren Ländern, aber auch die Menschen in Deutschland. Die Förderung von Biokraftstoffen aus diesen Rohstoffen verstärke die Nachfrage.
„Agrarflächen sind weltweit begrenzt, und wir brauchen die Flächen dringend für die Ernährung“, betonte der Ministeriumssprecher. Ihm zufolge ist der Anbau von
Energiepflanzen indirekt mit zusätzlichen Emissionen verbunden: „Wenn Energiepflanzen auf bestehenden
Agrarflächen angebaut werden, muss die
Nahrungsmittelproduktion ausweichen, meist in Wald- und Moorgebiete.“ Im Zuge dieser „indirekten Landnutzungsänderung“ (iLUC), gingen wichtige CO2-Senken verloren.
Diese Effekte seien weltweit feststellbar und würden in der
Ökobilanz der
Kraftstoffe nicht berücksichtigt. Die Klimaschutzwirkung von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermitteln werde daher zu Recht seit vielen Jahren angezweifelt.
Biokraftstoffe für Klimaschutz gebrauchtKlarheit für die
Biokraftstoffindustrie forderte der Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe), Stefan Walter. „Es wäre vernünftig, wenn Bundesumweltministerin Lemke jetzt schnell und endgültig von ihrem innerhalb der Regierungskoalition nicht abgestimmten Vorhaben Abstand nimmt“, sagte Walter zur Zielsetzung des Ressorts, aus der Förderung von Biokraftstoffen auszusteigen.
Gegenüber AGRA-EUROPE widersprach der Verbandsgeschäftsführer der Argumentation des Umweltministeriums, der Einsatz von
Biosprit aus Anbaubiomasse verschärfe die ohnehin angespannte weltweite Ernährungslage: „Bioethanol aus ganz überwiegend zur Ernährung ungeeigneten Ackerpflanzen ist kein Treiber weltweiter Nahrungsmittelpreise.“ Stattdessen würden die bei der Produktion entstehenden Koppelprodukte wie Futter- und Düngemittel oder biogenes
CO2 dringend zur Sicherung der heimischen Lebens- und Futtermittelwirtschaft benötigt und sorgten damit für Ernährungssicherheit.
Keine VerlässlichkeitWenig hilfreich sei es, so Walter, langfristig ausgelegte Rahmenbedingungen für erneuerbare Kraftstoffe im Verkehr und damit für mehr Klimaschutz immer wieder in Frage zu stellen. Erst vor rund einem Jahr habe der Gesetzgeber die Treibhausgasminderungsvorgaben für den Verkehr bis 2030 neu regelt und dabei auch Biokraftstoffen eine begrenzte Rolle zugeschrieben. „Fast 90 % der CO2-Einsparungen im Verkehr leisten derzeit Biokraftstoffe“, betonte der BDBe-Geschäftsführer.
Zu ihnen gebe es angesichts des ganz überwiegend mit Verbrennungsmotoren angetriebenen Fahrzeugbestandes mittelfristig keine Alternativen. Ohne diesen Klimaschutz seien die CO2-Minderungsziele im Verkehr nicht erreichbar. Die vom
Bundesumweltministerium immer wieder unterstellten Effekte der indirekten Landnutzungsänderungen (iLUC) stehen laut Walter aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegen, wonach die Nutzung zertifiziert nachhaltiger europäischer Agrarrohstoffe keinerlei derartige Effekte nach sich ziehe.