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06.08.2023 | 17:09 | „Wahre Kosten“ 

Viel Kritik an Penny-Kampagne

Köln - Der Discounter Penny hat in der vergangenen Woche bei neun Produkten die Umweltfolgekosten auf den normalen Verkaufspreis aufgeschlagen.

Penny
Der Discounter preiste eine Woche lang bei ausgewählten Produkten die Umweltfolgekosten ein - Für Kritiker klammerte die wissenschaftliche Berechnung der TH Nürnberg und Universität Greifswald jedoch wichtige Aspekte aus - Bauernverband spricht von „Greenwashing“ - Kunden sehr zurückhaltend. (c) proplanta
Berechnet hat die Zusatzkosten ein Forschungsteam um Prof. Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg und der Wirtschaftsingenieurin Dr. Amelie Michalke von der Universität Greifswald.

Viele Akteure aus der Landwirtschaft kritisierten die Aktion scharf, darunter der Deutsche Bauernverband (DBV), der von „Greenwashing“ sprach. Vom 31. Juli bis 5. August war in den 2.150 Märkten der Discounter-Kette, die zur Rewe Group gehört, auf mehrere konventionelle und Bioprodukte sowie ein veganes Schnitzel ein Zusatzbetrag zwischen 5 % und 94 % fällig geworden.

Ziel war es, die bei dem jeweiligen Produkt über die Lieferketten anfallenden Auswirkungen auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit monetär einzubeziehen. Die extreme Schwankung der Preisaufschläge ergab sich den Forschenden zufolge dadurch, dass die Biolebensmittel geringere Folgekosten als ihre konventionellen Gegenstücke haben; das pflanzliche Ersatzprodukt hatte im Vergleich mit 14 Cent den mit Abstand geringsten Aufpreis.

Am höchsten fiel der Mehrpreis bei einem Maasdamer-Käse aus, für den im Aktionszeitraum 2,35 Euro mehr bezahlt werden musste. Penny hatte angekündigt, die Differenz zwischen den „wahren Kosten“ sowie den regulären Preisen an das Gemeinschaftsprojekt „Zukunftsbauer“ des Lebensmittelhändlers und der Molkerei Berchtesgadener Land zu spenden. Dieses fördert Genossenschaftsmolkereien, die ihre Betriebe energetisch optimieren wollen.

Studie zu Konsumverhalten



Es gehe nicht darum, die „wahren Kosten unmittelbar für alle Lebensmittel einzuführen“, betonte die Wissenschaftlerin Michalke. Das Forschungsteam erhoffte sich laut eigenen Angaben von dem Projekt einen transparenten Diskurs über die Umweltfolgen des Lebensmittelsektors. Dass bereits heute „Folgekosten an anderer Stelle anfallen, die von allen getragen werden müssen“, stufte Projektleiter Gaugler als ungerecht ein.

Die erhöhten Preise sollten „zum Nachdenken anregen, und zu bewussterem Konsum“, so der Ressourcenökonom. Zusätzlich begleitete das Team die Aktionswoche wissenschaftlich und erhob Informationen zum Einfluss auf das Konsumverhalten und die Zahlungsbereitschaft der Kundschaft im Interesse der Umwelt. „Daraus lassen sich dann Handlungsempfehlungen für die verschiedenen Akteure ableiten, um vor allem sinnvolle politische Maßnahmen zu gestalten, die zu einer nachhaltigen Transformation des Lebensmittelsektors beitragen“, so Gaugler.

Komplexität nicht erfasst



„Fundierte Verbraucheraufklärung sieht anders aus“, urteilte hingegen der Vizepräsident des Landvolkes Niedersachsen, Jörn Ehlers. Die Kampagne verunglimpfe die heimische Produktion, die im globalen Vergleich bereits äußerst klima- und ressourcenschonend sei, betonte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken.

„Anstelle solch aktivistischer Effekthaschereien sollte das Unternehmen Penny lieber die tatsächlichen Leistungen der heimischen Landwirtschaft anerkennen, wertschätzen und vor allem angemessen entlohnen“, sagte Krüsken. Die positiven Effekte der landwirtschaftlichen Produktion blieben bei dieser Berechnung schlichtweg unberücksichtigt. Auch wird laut dem DBV-Generalsekretär die Rolle des niedrigpreisorientierten Lebensmittelhandels bewusst ausgeblendet.

Der Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), Hubertus Beringmeier, begrüßte zwar, dass Umweltkosten bei den Verkaufspreisen einkalkuliert werden. Allerdings kritisierte auch er, das Fehlen zahlreicher Einflussfaktoren, etwa die Kosten für Verpackung, Logistik und Energie, bei der Preisgestaltung. Eine einwöchige Aktion könne dem komplexen Thema nicht gerecht werden, so Beringmeier.

Erzeugerpreise zu gering



„Die Lebensmittel sind zu billig - ja, der Meinung können wir uns anschließen, auch wenn der Zeitpunkt, dies zu diskutieren, angesichts der allseits sichtbaren Teuerungsraten denkbar ungünstig ist“, erklärte der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN), Dr. Torsten Staack.

Laut der ISN belegen Statistiken, dass die Differenz zwischen dem Schlachtschweinepreis und dem Verkaufspreis für Fleisch im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in den vergangenen Jahren immer größer geworden ist. Die Landwirte erhielten seit mehr als 70 Jahren schon keine vollkostendeckenden Erzeugerpreise mehr, beklagte die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch (VEZG).

Fleisch und Milch stehen schlecht da



Der Vorsitzende des Landesverbandes Niedersächsischer Schweineerzeuger (LNS), Jürgen Albers, kritisierte, dass bei der Kampagne „undifferenziert tierische Lebensmittel wie Milchprodukte und Fleisch bezüglich ihrer Umweltwirkungen pauschal abqualifiziert“ würden. Auch die Milcherzeuger sahen die Landwirtschaft mit der Aktion ungerechtfertigt an den Pranger gestellt.

Bei der Milchproduktion entsteht dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) zufolge ein beträchtlicher Teil der Umweltfolgekosten in den vor- und nachgelagerten Bereichen. Aus Sicht des BDM ist die „fehlgeleitete Ausrichtung der Agrar- und Ernährungspolitik“ hauptverantwortlich für die aktuelle Situation. Der Verband appellierte daher, vielmehr das gesamte Lebensmittelsystem zur Diskussion zu stellen.

Produktauswahl einseitig



Viele Verbände bemängelten außerdem die Auswahl der neun Produkte. Vor allem Obst und Gemüse aus Nicht-EU-Staaten wurde vermisst. Gerade hier würde sich ein Blick auf die Umweltbilanz aber lohnen, so der Tenor. Die VEZG nahm die Aktion auch zum Anlass, den LEH dazu aufzurufen, insgesamt noch stärker auf regionale Produkte zu setzen.

Die Umweltorganisation Greenpeace forderte derweil ein langfristig umweltfreundliches Wirtschaften der Supermärkte ein. Darüber hinaus bekräftigten die Umweltschützer ihre Forderung nach Streichung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte.

„Tagesschau“-Eklat



Auch die potentiellen Kunden reagierten zu Beginn der Kampagnenwoche zurückhaltend. Laut einer You-Gov-Umfrage unter insgesamt 3.315 Personen ab 18 Jahren planten lediglich 16 %, die Aktion durch den Kauf der betreffenden Produkte zu unterstützen. Dagegen lehnten 44 % der befragten Verbraucher es ab, die Mehrkosten zu bezahlen. Allerdings gaben 30 % an, keinen Penny-Markt in der Nähe zu haben, in dem sie einkaufen könnten.

Für einen Eklat im Zusammenhang mit der Penny-Aktion sorgten indes WDR beziehungsweise ARD, die damit die Kritiker des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestärkt haben dürften. Die ARD sah sich gezwungen, einen Beitrag der „Tagesschau“ zu der Aktion des Discounters zu ändern, nachdem „Bild“ herausgefunden hatte, dass darin eine WDR-Mitarbeiterin als vermeintliche Kundin interviewt worden war.
AgE
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