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10.06.2010 | 20:00 | Leben mit dem Hochwasser 

Dobrzykow stemmt sich gegen die Flut

Dobrzykow - In der Umgebung von Plock herrscht trügerische Ruhe: Frauen und Kinder verkaufen am Straßenrand Erdbeeren, Männer arbeiten auf den Feldern, Omas und Opas sitzen auf den Bänken vor ihren Häusern und reden über Gott und die Welt.

Überschwemmung
(c) Michael Söckneck - fotolia.com

Nur wenige Kilometer weiter entscheidet sich in diesen Stunden das Schicksal der Region. In Dobrzykow vor Plock am Linksufer der Weichsel kämpfen seit Tagen Soldaten, Feuerwehrleute und freiwillige Helfer gegen die Flutwelle.

In der Nacht errichteten sie bei Fackellicht eine provisorische Sperre. Bis zu 50 Kilogramm schwere Sandsäcke reichten sie von Hand zu Hand und warfen sie auf den Deich. Am Donnerstag bleibt den Menschen in dem 600-Seelen-Ort nur noch die Hoffnung. Der Scheitelpunkt des Hochwassers rollt durch das Gebiet und drückt auf die Deiche. Mit Sorge betrachten sie die braune Brühe, die zu einem gewaltigen Strom angeschwollen ist. Aus dem Wasser ragt ein Verkehrsschild - Einbahnstraße steht darauf. Nur zehn Schritte weiter liegt ein Friedhof. Das Grundwasser drückt durch die Asphaltstraße, die die Friedhofsmauer vom Deich trennt. Doch die Weichsel bleibt einige Dutzend Zentimeter unter der Deichkrone, das gibt den Menschen Hoffnung.

Major Tadeusz Nastarowicz, der das Kommando über die Soldaten im Hochwasser-Einsatz hat, zeigt sich optimistisch. «Der Pegel steigt seit Stunden nicht mehr, das ist ein gutes Zeichen», sagt er der Nachrichtenagentur dpa. Entwarnung kann er noch nicht geben: Der Hochwasserscheitel werde sich 30 Stunden lang durch das Gebiet schieben. Es könne noch alles passieren. Auch der Bürgermeister der Gemeinde Gabin - Krzysztof Jadczak, der rund um die Uhr über die Deiche rennt, warnt vor voreiligem Optimismus: «Wir sind noch nicht über den Berg.»


Vor zweieinhalb Wochen hatte die erste Flutwelle der Weichsel das Gebiet schwer verwüstet

In Swiniary, einige Kilometer weiter südlich, war ein Damm auf einer Länge von 400 Metern gebrochen. Binnen einiger Stunden wurde ein 6.000 Hektar großes Tal mit mehr als 20 Ortschaften überflutet, 2.000 Menschen waren in Lebensgefahr. Nur noch Dobrzykow stand damals, wie jetzt, den Wassermassen im Weg. Die provisorische Sperre, errichtet unter großem Zeitdruck, hielt stand. Wäre sie gefallen, hätte die Weichsel Dutzende weiterer Ortschaften überflutet, auch Teile von Plock, einer 120.000- Einwohner-Stadt mit einer romanischen Kathedrale. Das sei damals wie jetzt eine prima Teamarbeit gewesen, lobt Jadczak. Schulter an Schulter kämpften Soldaten und Einwohner gegen das Wasser.


In Swiniary und Umgebung ist die Lage bis heute kritisch

Viele Menschen blieben allen Warnungen zum Trotz in ihren Häusern - aus Angst vor Einbrechern oder weil sie nicht in die provisorischen Quartiere umziehen wollten. Stanislaw Nowicki gehört zu denen, die freiwillig gegangen sind. Das Wasser in seinem Haus steht immer noch bis zu den Fenstern. Er hat seine Hühner, Schweine, Kaninchen und Hunde auf dem Dachboden einquartiert. Mit dem Boot fährt der 67-Jährige regelmäßig hin, um die Tiere zu füttern. Das ganze Hause ist kaputt, sein Lebenswerk, klagt er. 


Aufgeben kommt nicht in Frage

Mit Staatshilfe will er seine Bleibe renovieren, wenn das Hochwasser fort ist. Vor allem ältere Menschen leiden unter den Folgen der Flut. Ein Amphibienfahrzeug des Militärs bringt ein älteres Ehepaar nach Juliszew. Die beiden haben drei Wochen in ihrem überfluteten Haus ausgeharrt - jetzt ist der Mann zusammengebrochen und muss schnellstens ins Krankenhaus. In den Überschwemmungsgebieten gibt es eine Mücken- und Fliegenplage - die Angst vor Seuchen wächst.

Nur ein Storchenpaar betrachtet das Hochwasser mit stoischer Ruhe von seinem Nest auf einem hohen Strommast. Bürgermeister Jadczak macht schon Politik für die Zeit nach der Katastrophe: Er will das gefährdete Gebiet am Fluss der Landwirtschaft zurückgeben, damit die Menschen in seinem Dorf ohne Angst vor einer neuen Flut leben können. 170 Familien, die hier leben, sollen vom Strom wegziehen. Allein schaffe er es nicht, Häuser für so viele Leute zu bauen, sagt Jadczak. Doch mit Staatshilfe könne er das stemmen. (dpa)

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