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28.03.2024 | 07:01 | Wärmewende 

Es wird Sturm geben - Offene Fragen bei künftiger Wärmeversorgung

Hanau/Wiesbaden - Bei der künftigen Wärmeversorgung ihrer Bürger rollen auf die Städte enorme Herausforderungen und gewaltige Kosten zu. Die kommunale Wärmeplanung soll laut dem umstrittenen Heizungsgesetz der Bundesregierung der Dreh- und Angelpunkt für die künftige Wärmeversorgung aller Bestandsbauten sein.

Wärmeversorgung
Viele Städte planen derzeit als Teil der Wärmewende den Ausbau ihrer Fernwärmeversorgung. Doch was kommt auf sie und die Bürger zu, wenn aus den Planungen in gut zwei Jahren Ernst wird? (c) fefufoto - fotolia.com
Die Planung soll in Großstädten ab Mitte 2026 und für die restlichen Kommunen ab Mitte 2028 vorliegen. Hauseigentümer sollen dann Klarheit haben, ob sie zum Beispiel an ein Fernwärmenetz angeschlossen werden oder ob sie sich bei einer neuen Heizung um eigene dezentrale Lösungen kümmern sollen - also etwa eine Wärmepumpe anschaffen.

«Allerspätestens dann, wenn es um die Realisierung der Planung geht, muss klar sein: Mit welchen finanziellen Mitteln und unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen geschieht das?», erklärt der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Nach den jetzigen Bedingungen sei die Stadt nicht in der Lage, den Bürgern zu sagen, was tatsächlich auf sie zukomme. «Jenseits von ökologischen Überzeugungen wird den Bürger auch seine private wirtschaftliche Lage sehr interessieren. Und da braucht es Antworten.»

Und diese Antworten fehlen bislang, warnen Kaminsky und der Hessische Städtetag. Hanau ist mit der Planung nach eigenen Angaben schon relativ weit. Die künftige Entwicklung sei aber mit unglaublich vielen Fragezeichen an die Landes- und Bundesebene verbunden. «Wir brauchen Planungs-, Rechts- und Investitionssicherheit. Und das gilt nicht nur für Hanau, sondern für alle Städte», betont Kaminsky. Nach vorsichtigen Berechnungen ergebe sich für die gut 100.000 Einwohner zählende Stadt bis 2040 einen Investitionsbedarf von 920 Millionen Euro, um die Wärmewende umzusetzen.

Städtetag fordert deutlich mehr Geld

Der Hessische Städtetag pocht auf Planungs- und Investitionssicherheit für die Kommunen und deren Energieversorgungsunternehmen. Damit die Wärmewende gelinge, seien zudem deutlich mehr Mittel erforderlich. «Der Bund hat weder die Planungsverfahren noch deren Harmonisierung noch eine Kostenabschätzung noch einen Kostenausgleichsmechanismus im Blick und im Griff», kritisiert Michael Hofmeister vom Städtetag.

Für die Planung haben der Bund und das Land Hessen laut Hofmeister eine finanzielle Unterstützung der Kommunen angekündigt. Das Land habe auch bereits Mittel in den Landeshaushalt eingestellt. «Wann und nach welchem Schlüssel diese an die Kommunen ausgezahlt werden, hat uns das Land trotz mehrfacher Nachfragen bisher nicht mitgeteilt. Es ist aus unserer Sicht zweifelhaft, ob diese Mittel ausreichen», sagt er.

Nach Ansicht des Hanauer Oberbürgermeisters ist es völlig ausgeschlossen, dass die Stadt die 920 Millionen Euro für die Umstellung der Wärmeversorgung allein aufbringen kann. Und die Stadtwerke können die Kosten nicht in voller Höhe auf die Kunden umlegen, wie deren Geschäftsführerin Martina Butz zu bedenken gibt. «Wir haben im Moment Sorge, dass wir 2026 nicht wissen, wie die Wärmeplanung umgesetzt werden kann», sagt sie und verweist auf die Themen Finanzierung, Materialbeschaffung, Personal, Zeit und Genehmigungsprozesse. Kaminsky warnt: «Es wird einen Sturm geben, wenn man den Bürgern nicht die elementare Frage beantworten kann, wie das umgesetzt wird.»

Ein wichtiges Standbein bei der Planung in Hanau und in vielen anderen Städten ist die Überlegung, bereits bestehende Fernwärmenetze auszubauen. Doch angesichts der hohen und über einen beachtlichen Zeitraum laufenden Investitionen sowohl für Privatleute als auch für die Städte ist aus Sicht des Hanauer Oberbürgermeisters eine verlässliche Rahmensetzung erforderlich. «Wenn Bund und Land nicht diese Rahmenbedingungen einschließlich Zusagen über Investitionszuschüsse schaffen, dann laufen die guten Wünsche in Richtung Kommunen ins Leere», kritisiert Kaminsky. Dann müssten auch die Fristen infrage gestellt werden.

«Anschluss- und Benutzungszwang» als möglicher Hebel

Das Heizungsgesetz der Bundesregierung sieht vor, das Kommunen ihren Bürgern nach jeweiligem Landesrecht einen «Anschluss- und Benutzungszwang» an ein öffentliches Fernwärmenetz auferlegen können. In dem Gesetzestext wird dabei ausdrücklich auf «Klima- und Ressourcenschutz» verwiesen. «Können», heißt es in dem Gesetzestext, nicht «müssen». Klar ist aber, dass viele Kommunen angesichts der immensen Investitionskosten beim Fernwärmeausbau darauf setzen werden, dass möglichst viele Eigentümer ihre Häuser an diese Versorgung anschließen lassen.

Laut Butz ist ein rechtlich möglicher Anschluss- und Benutzungszwang ohnehin löchrig. So gebe es Ausnahmeregelungen beispielsweise für Passivhäuser und Gebäude mit einer Wärmepumpe. Kaminsky verweist zudem auf ein Imageproblem der Fernwärme in Teilen der öffentlichen Diskussion. «Da gibt es Kritik an der Preisgestaltung. Und auch Wörter wie Anschlusszwang oder Benutzungszwang machen die Sache nicht besser», sagt er.

«Massive Anreize notwendig, ohne dass sich die Bürger ruinieren»

Doch die Bürgerinnen und Bürger müssten bei der Wärmewende mitgenommen werden. «Dazu sind bei der Fernwärme mit Blick auf den Anschluss- und Benutzungszwang neben der Rechtssicherheit auch massive Anreize und Förderungen notwendig, ohne dass sich die Bürger ruinieren und ihren Lebensstandard einschränken müssen», betont er.

Aus ökologischen Gründen müsse man die Wärmewende so schnell wie möglich anpacken, sagt Kaminsky. Aber man müsse so ehrlich sein zu sagen, dass all diese Fragen noch nicht beantwortet seien. Der Bund mache es sich einfach damit zu sagen, er habe «ein paar tolle Gesetze gemacht» und nun den Kommunen die Daumen für die Umsetzung drücke. «Das wird nicht reichen», warnt er. «Wir brauchen bei der künftigen Energiepolitik einen parteiübergreifenden Ruck im Bund und im föderalen System.»
dpa/lhe
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