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14.07.2009 | 13:58 | Milchwirtschaft  

Auch die Besten trifft es hart

Gülzow - Die meisten Milchviehbetriebe führen bei den derzeit extrem niedrigen Erzeugerpreisen einen dramatischen Existenzkampf.

Kuhkopf
(c) proplanta
Niemand weiß vorauszusagen, wie lange diese Situation andauert. Analysiert man die Daten der buchführenden Milchviehbetriebe in Mecklenburg-Vorpommern (Tabelle 1), dann lassen sich die so genannten erfolgreichen Betriebe wie folgt charakterisieren:

- hoher Spezialisierungsgrad (z.B. hohes Bilanzvermögen je Haktar, hoher Umsatzanteil der Milchproduktion)

- überdurchschnittliche Größe (Milchkuhbestand, Milchmenge, Personal etc.)

- überdurchschnittlicher Fremdkapitalanteil

- hohe Arbeitsproduktivität

- hohe Rentabilität.

Es handelt sich in der Mehrzahl um wachstumsfähige Betriebe, die in den vergangenen Jahren erheblich in den Ausbau und die Verbesserung der Tierhaltung statt in den Bodenkauf investiert haben. Normalerweise würde man, mit Ausnahme des höheren Fremdkapitalanteils, diese Merkmale als Stärken bezeichnen. In der gegenwärtigen Situation auf dem Milchmarkt kehren sich diese Stärken teilweise gegen die Betriebe. Hoher Spezialisierungsgrad bedeutet auch hohe Abhängigkeit von der Milchproduktion. Überdurchschnittliche Größe geht meist einher mit Beschäftigung von Fremdarbeitskräften. Hohe Arbeitsproduktivität erzielen vor allem hoch qualifizierte Mitarbeiter, die eine entsprechend marktübliche Entlohnung erwarten.

Die Gruppe der erfolgreichen Betriebe weist normalerweise hohe Rentabilitätskennwerte aus. Es sind die zukunftsfähigen Betriebe, die auch Motor des technischen Fortschritts und der Ausbildung von Nachwuchskräften für den Agrarsektor sind.

Decken die Milchpreise nicht einmal mehr die laufenden Kosten für Futter, Tiergesundheit und Arbeitserledigung, werden gerade diese Stärken zur „Achillesverse“. Die Deckungslücke bei den monatlichen Milcheinnahmen ist hier besonders groß. Die Kredite für die Investitionen laufen weiter, auch wenn die Milchproduktion aufgegeben würde. Die Restwerte für einen Kuhstall oder einen Melkstand werden in den meisten Fällen die noch fälligen Kreditbelastungen nicht ablösen können. Andere bedeutende Betriebszweige, die die Verluste aus der Milchproduktion kompensieren könnten, fehlen oft im ausreichenden Umfang.


Preisuntergrenzen deutlich unterschritten

Weder die Gruppe der erfolgreichen Milchviehbetriebe noch der Kostenführer (Betrieb mit den geringsten Stückkosten) können auf Dauer für Milchpreise unter 30 Cent pro kg gewinnbringend Milch erzeugen (Tabelle 2). Kurz- bis mittelfristig deckt ein Milchpreis von knapp 28 Cent beim Kostenführer die produktionsabhängigen Kosten. Er erleidet dabei zwar einen Verlust im Betriebszweig Milchproduktion in Höhe der von der laufenden Produktion unabhängigen Kosten (Festkosten wie z.B. Abschreibungen). Da diese Kosten jedoch auch bei einer Aufgabe der Milcherzeugung weiter anfielen, betreibt der Betrieb mit der Aufrechterhaltung der Milcherzeugung eine „Verlustminimierungsstrategie“.

Fällt der Milchpreis jedoch unter die kurz- bis mittelfristige Preisuntergrenze (Produktionsschwelle), werden nicht einmal die produktionsabhängigen Kosten wie Bestandsergänzung, Haltungs- und Futterkosten sowie Aufwand für die Arbeitserledigung gedeckt. Ist keine dauerhafte Preiserholung in Sicht, müsste nach ökonomischen Gesetzen die Milcherzeugung eingestellt werden. Dies ist eine schwerwiegende, selten umkehrbare Entscheidung, denn nicht nur Arbeitsplätze und Wertschöpfungspotentiale gehen damit verloren, auch die tierzüchterischen Anstrengungen von Jahren und Generationen und ein Stück Identität und Tradition drohen unwiederbringlich verloren zu gehen.


Aussichten sind weiterhin trübe

Die Referenzbetriebe haben wie vermutlich alle Milchviehbetriebe große Anstrengungen in den zurückliegenden Jahren unternommen, die Stückkosten zu senken. Letztlich wurde aber ein Großteil der Rationalisierungsfortschritte durch steigende Kosten für Betriebsmittel und Produktionsfaktoren aufgezehrt. Quantensprünge bei den Kostensenkungen sind gerade bei den gut geführten, produktiven Unternehmen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.

Auf Dauer kann der Milcherzeugerpreis theoretisch nicht unter die mittelfristige Preisuntergrenze der Kostenführer sinken. Die derzeitigen Milchpreise mit ihrem historischen Tiefststand tun dies zurzeit dennoch. Die spannende Frage ist jedoch, wie lange diese Situation andauert und wer bei diesem extremen Existenzkampf auf der Strecke bleibt. Aus agrarstruktureller Sicht bleibt zumindest zu hoffen, dass nicht zu viele Betriebe aus der Gruppe der wachstumsfähigen, erfolgreichen und im Grunde zukunftsorientierten Unternehmen darunter sind. (PD)


Tabelle 1: Kennzahlen spezialisierter Milchviehbetriebe* in M-V Bild vergrößern
Tabelle 1: Kennzahlen spezialisierter Milchviehbetriebe* in M-V
Tabelle 2: Kennzahlen des Betriebszweiges Milchproduktion (ct/kg ECM)Bild vergrößern
Tabelle 2: Kennzahlen des Betriebszweiges Milchproduktion (ct/kg ECM)
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