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27.09.2023 | 06:10 | Politische Herausforderungen 
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Sechs Gründe, warum das Regieren für Kretschmann schwierig wird

Stuttgart - Einen Tag nach dem Beben gibt sich der Ministerpräsident entspannt. Dass Thomas Strobl bald nicht mehr Landeschef der CDU sein wird, das werde an der Zusammenarbeit in der Koalition nichts groß ändern, sagt Winfried Kretschmann vor der Presse.

Winfried Kretschmann
Koalitionäre Fliehkräfte, fast unlösbare Probleme, eine schwierige Gesamtlage: Für Grün-Schwarz brechen härtere Zeiten an. Warum das geschmeidige Regieren im Südwesten ein Ende hat. (c) proplanta
Die Parteien sind im Regierungshandeln ja nicht der unmittelbare Sparringspartner.» Und mit CDU-Fraktionschef Manuel Hagel, der wohl auf Strobl folgen dürfte als CDU-Chef, habe er ja sowieso ein vertrauensvolles Verhältnis. Die Journalisten haken nach: Wird sich wirklich nichts ändern? «Werden wir sehen. Da sind wir alle gespannt drauf.» Auch der Regierungschef weiß: So harmonisch wie die erste Hälfte der Legislatur dürfte es nicht mehr werden. Sechs Gründe, warum das Regieren für Kretschmann schwieriger wird.

Koalitionspartner unter Profilierungszwang

CDU-Fraktionschef Hagel will am Mittwoch verkünden, ob er nach dem Landesvorsitz greift - und davon ist auszugehen. Der 35-Jährige schielt damit auch auf die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2026 - dafür muss er aber an Prominenz und politisches Gewicht zulegen. Vor allem wenn er gegen den erfahrenen Politprofi Cem Özdemir ins Rennen gehen muss, sollte der in Kretschmanns Fußstapfen treten wollen. «Sehr, sehr viele im Land kennen ihn noch gar nicht», sagt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider über Hagel.

Hagel wird auch sein Profil schärfen müssen. Das dürfte zwangsläufig in Provokationen des Koalitionspartners münden. Darin hat sich Hagel bereits in den vergangenen Monaten geübt - etwa als er verkündete, dass seine Fraktion keinen anderen Grünen wählen würde, sollte Kretschmann vorzeitig aufgeben. In einem Papier forderte er erst vor wenigen Tagen eine 180-Grad-Wende in der Asylpolitik. Kretschmann zeigt sich am Dienstag wenig begeistert. «Was soll das denn bitte sein, eine 180-Grad-Wende?», hält er der CDU entgegen. Er reagiere nicht auf Überschriften, sondern auf die Lage.

Ein geschwächter Strobl

Der 63-jährige Strobl hängt den Parteiposten an den Nagel, bleibt aber Innenminister, Vize-Regierungschef und sogenannter Koordinator der B-Seite, also der CDU, in der Regierung. Strobl gilt als Stabilitätsanker des Bündnisses, er ist der zentrale Ansprechpartner für Kretschmann - und sein Garant für geschmeidiges Regieren. Die beiden mögen und vertrauen sich. «Ich freue mich auf jeden Tag, an dem ich mit ihm zusammenarbeiten darf» - so spricht Strobl über den Ministerpräsidenten. Strobl selbst sagt, er werde alles dafür tun, dass Grün-Schwarz weiter stabil regiere.

Inwieweit ihm das aber möglich sein wird mit einer zunehmend selbstbewussten CDU-Fraktion, ist noch offen. In der vergangenen Legislaturperiode sorgte der permanente Zwist zwischen Strobl und dem damaligen CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart für offenen Streit in der Koalition. Falls Hagel eine eigene Agenda fährt, könnte der Ton rauer werden. Aber nicht nur in der CDU gibt es Profilierungsbestreben: Auch in der Grünen-Fraktion soll es ein Bestreben geben nach einem linkeren Kurs.

Zu dicke Bretter

Kretschmann regiert seit mehr als zwölf Jahren. Er sieht gern das große Ganze, schwebt eher über den Dingen. Kritiker werfen ihm vor, eher zu verwalten als zu gestalten. Ausgerechnet auf den letzten Metern seiner politischen Karriere hat sich der 75-Jährige nun ziemlich dicke Bretter zum Bohren rausgesucht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll endlich vorangehen. Den Kampf gegen die Klimakrise hat er ebenso zur Chefsache erklärt wie die überbordende Bürokratie. Nur sind das Probleme, die fast unlösbar sind, zumal für ein einzelnes Bundesland. Daher sind auch die Erfolge spärlich: Pro Jahr werden nach wie vor nur eine Handvoll Windräder im Land gebaut. Aber an den Mammutaufgaben wird Grün-Schwarz gemessen werden.

Themen mit Streitpotenzial

Ein richtig dickes Brett ist auch die sich extrem zuspitzende Migrationskrise, die noch für Ärger sorgen dürfte. Daneben gibt es noch ein paar Themen, die Krachpotenzial bergen für Grüne und Christdemokraten. Etwa die Debatte um den Nationalpark Schwarzwald, dessen Erweiterung eigentlich im Koalitionsvertrag festgehalten ist.

Die Grünen wollen mehr Park, Forstminister Peter Hauk (CDU) eigentlich nicht, wie er vor kurzem öffentlich verkündete. Auch die Mobilitätsgesetz könnte noch zum Spaltpilz werden. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will den Nahverkehr ausbauen. Die CDU hält die Klimaschutzziele im Verkehr für unrealistisch.

Wirtschaftslage

Es werde nicht ohne Zumutungen gehen, pflegt Kretschmann gern zu sagen. Bislang hat er die dem Bürger weitgehend ersparen können - das dürfte sich aber ändern. Bereits beim Aufschreiben des Koalitionsvertrags 2021 hieß es, dass alle Projekte angesichts der Kassenlage unter strengem Finanzierungsvorbehalt stünden.

Damals standen die Koalitionäre unter dem Eindruck der Corona-Krise und den deshalb angehäuften riesigen Schuldenbergen. Seitdem haben sich noch ein Angriffskrieg in der Ukraine und eine sich stark verschärfende Flüchtlingslage hinzugesellt. «Es tauchen in einer Legislatur zunehmend natürlich Dinge auf, die im Koalitionsvertrag nicht geregelt sind - oder das sind Regeln, die aus anderen Zeiten stammen», sagt der Regierungschef am Dienstag. 2024 müssen die Koalitionäre über den nächsten Doppelhaushalt verhandeln - in Zeiten schrumpfender Kassen ist da der Streit vorprogrammiert.

Die wirtschaftliche Lage spitzt sich jedenfalls zu. Mit Rezession, Inflation und bedrohten Arbeitsplätzen dürfte sich auch die Stimmung in der Bevölkerung verschlechtern. Mit der Arbeit von Grünen und CDU zeigten sich im Juli in einer Umfrage nur noch die Hälfte der Wahlberechtigten zufrieden. Und gleichzeitig ist die AfD in Umfragen auf Rekordwert.

Wahlen, Wahlen, Wahlen

Vor dem Wahlkampf ist nach dem Wahlkampf - das gilt für die zweite Hälfte der Legislaturperiode besonders. Am 9. Juni 2024 finden im Südwesten die Kommunalwahlen und die Europawahl statt. Spätestens danach wollen die Grünen einen Nachfolger bestimmen. Als aussichtsreicher Kandidat gilt Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir.

Aber auch Fraktionschef Andreas Schwarz hat Interesse an dem Posten. Die Nachfolgedebatte wird dem ruhigen Regieren nicht dienlich sein. Dann blicken alle auf die Bundestagswahl im September 2025. Und unmittelbar darauf folgt dann die Landtagswahl im Frühjahr 2026. Da bleibt wenig Zeit für konkrete Sachpolitik.
dpa/lsw
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Kommentare 
maximilian schrieb am 28.09.2023 15:01 Uhrzustimmen(1) widersprechen(16)
Herr Özdemir ist Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung. Keineswegs ist er ein Lobbyist der Landwirtschaft. Er empfiehlt eine gesündere, weil pflanzenbasierte Ernährung. Der Rückgang der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe erfolgte in erheblichem Maße in den Jahren 2010 bis 2020, als die CDU unter Merkel regierte. Die Verantwortung für das Landwirtschaftsministerium lag bei Seehofer, Schmidt und Klöckner. Sie alle haben die Anpassung der Betriebszahlen an die Realität begleitet. Mit ASP in Deutschland ging der chinesische und asiatische Export in die Knie. Dann kam die Coronapandemie,und dann die Inflation mit den explodierenden Energiepreisen aufgrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft ist durchaus etwas Positives.
Er hat bisher nicht zur Hungersnot in Deutschland geführt und wird es auch künftig nicht tun. Die Landwirte müssen sich daran gewöhnen, dass sie weniger werden. Der Abbau der Überproduktion wird zu höheren Erzeugererlösen führen. Herr Özdemir ist als Bundesminister auch der Verfassung verpflichtet. Art. 20a GG verpflichtet ihn, im Rahmen seiner Möglichkeiten die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere zu schützen. Nach den Erkenntnissen der EFSA ist die Unschädlichkeit von Glyphosat für im wasserlebende Organismen nach wie vor unbewiesen. Daher ist es nachvollziehbar, dass Herr Özdemir die weitere Zulassung dieses Totalherbizids ablehnt. Wenngleich die Landwirtschaft aus Ignoranz und Unwissenheit dieses Totalherbizid weiterhin einsetzen will.
Es ist die mangelnde Empathie und die Kaltherzigkeit der Landwirtschaft die echte Verbesserungen im Tierschutz aus Unwissenheit und Selbstüberschätzung ablehnt. Unbestritten ist, dass das Engagement des Bundeslandwirtschaftsministers für den Tierschutz bis jetzt höchst unbefriedigend ist. Allerdings ist seine Regierungszeit noch nicht zu Ende.
agricola pro agricolas schrieb am 27.09.2023 08:20 Uhrzustimmen(23) widersprechen(7)
Cem Özdemir ist in seiner Position als Bundeslandwirtschaftsminister haltlos überfordert. Was der selbsternannte Anwalt der Bäuerinnen und Bauern perfekt beherrscht ist, dem rasanten Strukturwandel in Reihen der Landwirtschaft extrem abgehoben narzisstisch die Sporen zu geben. Die deutschen Bauern stürzen unter seiner heute irrlichtern erbarmungslosen Rigidität reihenweise über den Klippenrand.

So what - Nahrungsmittel kann man den Armen dieser Welt ja einfach unter der Nase wegkaufen, reich genug ist Deutschland immerhin.

Er verkennt dabei dass diese Hungernden in Not dann in Lampedusa stranden, über die Grenzen Polens und Tschechiens nach Deutschland drängen.

Ja, Herr Minister Özdemir, Sie sind ein grandioser Glücksfall für die Bundesrepublik...!

WARUM!?

- Er hat das Drangsal für die Bauern massiv erhöht, schafft damit neue, noch fatalere Abhängigkeiten vom Weltmarkt, leistet Vorschub für Korruption, die auf unserem EU-Binnenmarkt ankommt. Mittlerweile unumwunden nassforsch kommuniziert, vorbei die Zeiten, wo hinter vorgehaltener Hand alle schon gut Bescheid wussten.
- Bar jedweden Fachwissens folgt er den falschen Einflüsterern, die grünen ThinkTanks im BMEL reichen ihm die falschen Sprechzettel zur Hand und Özdemir verliest selbige.
- Özdemir ist ein Schutzpatron der Vögel (Warnschutzwesten für Hühner!) und Insekten, dafür vernichtet er beherzt die Menschlein innerhalb der ländlichen Räume, die seinem Schutze unterstellt sind, für die er als Minister seinen Amtseid leistete vor noch nicht allzu langer Zeit, in verantwortungsvoller Für- und Vorsorge für das Deutsche Volk.

Cem Özdemir fungiert aktuell weit eher als Sargnagel für die vielen Bauernhöfe hierzulande. Und keiner stoppt ihn..., kurz- bis mittelfristig ein großer Schaden für unser Deutschland in Not.

"Der Mensch ist, was er isst" - Özdemir degradiert unsere heimischen Erzeugnisse zur verzichtbaren Banalität.

Soll er fernerhin tatsächlich als Ministerpräsident im Ländle, einem großen bedeutenden Bundesland der vielen Käpsele, die dort leben und existieren, jetzt den kompletten Wirtschaftssektor BWs ruinieren dürfen!?

Özdemir ist ein Meister der Worte, mehr aber auch nicht. Leider...!!!
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