Die Parteien sind im Regierungshandeln ja nicht der unmittelbare Sparringspartner.» Und mit CDU-Fraktionschef Manuel Hagel, der wohl auf Strobl folgen dürfte als CDU-Chef, habe er ja sowieso ein vertrauensvolles Verhältnis. Die Journalisten haken nach: Wird sich wirklich nichts ändern? «Werden wir sehen. Da sind wir alle gespannt drauf.» Auch der Regierungschef weiß: So harmonisch wie die erste Hälfte der Legislatur dürfte es nicht mehr werden. Sechs Gründe, warum das Regieren für Kretschmann schwieriger wird.
Koalitionspartner unter ProfilierungszwangCDU-Fraktionschef Hagel will am Mittwoch verkünden, ob er nach dem Landesvorsitz greift - und davon ist auszugehen. Der 35-Jährige schielt damit auch auf die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2026 - dafür muss er aber an Prominenz und politisches Gewicht zulegen. Vor allem wenn er gegen den erfahrenen Politprofi Cem Özdemir ins Rennen gehen muss, sollte der in Kretschmanns Fußstapfen treten wollen. «Sehr, sehr viele im Land kennen ihn noch gar nicht», sagt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider über Hagel.
Hagel wird auch sein Profil schärfen müssen. Das dürfte zwangsläufig in Provokationen des Koalitionspartners münden. Darin hat sich Hagel bereits in den vergangenen Monaten geübt - etwa als er verkündete, dass seine Fraktion keinen anderen Grünen wählen würde, sollte Kretschmann vorzeitig aufgeben. In einem Papier forderte er erst vor wenigen Tagen eine 180-Grad-Wende in der Asylpolitik. Kretschmann zeigt sich am Dienstag wenig begeistert. «Was soll das denn bitte sein, eine 180-Grad-Wende?», hält er der CDU entgegen. Er reagiere nicht auf Überschriften, sondern auf die Lage.
Ein geschwächter StroblDer 63-jährige Strobl hängt den Parteiposten an den Nagel, bleibt aber Innenminister, Vize-Regierungschef und sogenannter Koordinator der B-Seite, also der CDU, in der Regierung. Strobl gilt als Stabilitätsanker des Bündnisses, er ist der zentrale Ansprechpartner für Kretschmann - und sein Garant für geschmeidiges Regieren. Die beiden mögen und vertrauen sich. «Ich freue mich auf jeden Tag, an dem ich mit ihm zusammenarbeiten darf» - so spricht Strobl über den Ministerpräsidenten. Strobl selbst sagt, er werde alles dafür tun, dass Grün-Schwarz weiter stabil regiere.
Inwieweit ihm das aber möglich sein wird mit einer zunehmend selbstbewussten CDU-Fraktion, ist noch offen. In der vergangenen Legislaturperiode sorgte der permanente Zwist zwischen Strobl und dem damaligen CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart für offenen Streit in der Koalition. Falls Hagel eine eigene Agenda fährt, könnte der Ton rauer werden. Aber nicht nur in der CDU gibt es Profilierungsbestreben: Auch in der Grünen-Fraktion soll es ein Bestreben geben nach einem linkeren Kurs.
Zu dicke BretterKretschmann regiert seit mehr als zwölf Jahren. Er sieht gern das große Ganze, schwebt eher über den Dingen. Kritiker werfen ihm vor, eher zu verwalten als zu gestalten. Ausgerechnet auf den letzten Metern seiner politischen Karriere hat sich der 75-Jährige nun ziemlich dicke Bretter zum Bohren rausgesucht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll endlich vorangehen. Den Kampf gegen die
Klimakrise hat er ebenso zur Chefsache erklärt wie die überbordende Bürokratie. Nur sind das Probleme, die fast unlösbar sind, zumal für ein einzelnes Bundesland. Daher sind auch die Erfolge spärlich: Pro Jahr werden nach wie vor nur eine Handvoll Windräder im Land gebaut. Aber an den Mammutaufgaben wird Grün-Schwarz gemessen werden.
Themen mit StreitpotenzialEin richtig dickes Brett ist auch die sich extrem zuspitzende Migrationskrise, die noch für Ärger sorgen dürfte. Daneben gibt es noch ein paar Themen, die Krachpotenzial bergen für Grüne und Christdemokraten. Etwa die Debatte um den Nationalpark Schwarzwald, dessen Erweiterung eigentlich im Koalitionsvertrag festgehalten ist.
Die Grünen wollen mehr Park, Forstminister Peter Hauk (CDU) eigentlich nicht, wie er vor kurzem öffentlich verkündete. Auch die Mobilitätsgesetz könnte noch zum Spaltpilz werden. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will den Nahverkehr ausbauen. Die CDU hält die
Klimaschutzziele im Verkehr für unrealistisch.
WirtschaftslageEs werde nicht ohne Zumutungen gehen, pflegt Kretschmann gern zu sagen. Bislang hat er die dem Bürger weitgehend ersparen können - das dürfte sich aber ändern. Bereits beim Aufschreiben des Koalitionsvertrags 2021 hieß es, dass alle Projekte angesichts der Kassenlage unter strengem Finanzierungsvorbehalt stünden.
Damals standen die Koalitionäre unter dem Eindruck der
Corona-Krise und den deshalb angehäuften riesigen Schuldenbergen. Seitdem haben sich noch ein
Angriffskrieg in der Ukraine und eine sich stark verschärfende Flüchtlingslage hinzugesellt. «Es tauchen in einer Legislatur zunehmend natürlich Dinge auf, die im Koalitionsvertrag nicht geregelt sind - oder das sind Regeln, die aus anderen Zeiten stammen», sagt der Regierungschef am Dienstag. 2024 müssen die Koalitionäre über den nächsten Doppelhaushalt verhandeln - in Zeiten schrumpfender Kassen ist da der Streit vorprogrammiert.
Die wirtschaftliche Lage spitzt sich jedenfalls zu. Mit Rezession, Inflation und bedrohten Arbeitsplätzen dürfte sich auch die Stimmung in der Bevölkerung verschlechtern. Mit der Arbeit von
Grünen und
CDU zeigten sich im Juli in einer Umfrage nur noch die Hälfte der Wahlberechtigten zufrieden. Und gleichzeitig ist die
AfD in Umfragen auf Rekordwert.
Wahlen, Wahlen, WahlenVor dem Wahlkampf ist nach dem Wahlkampf - das gilt für die zweite Hälfte der Legislaturperiode besonders. Am 9. Juni 2024 finden im Südwesten die Kommunalwahlen und die Europawahl statt. Spätestens danach wollen die Grünen einen Nachfolger bestimmen. Als aussichtsreicher Kandidat gilt Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir.
Aber auch Fraktionschef Andreas Schwarz hat Interesse an dem Posten. Die Nachfolgedebatte wird dem ruhigen Regieren nicht dienlich sein. Dann blicken alle auf die Bundestagswahl im September 2025. Und unmittelbar darauf folgt dann die Landtagswahl im Frühjahr 2026. Da bleibt wenig Zeit für konkrete Sachpolitik.